Matomo

Bewertung: 5/5 Sterne

Serienkritik The Fall of the House of Usher (Serie)

Familienauslöschung á la Poe

Schon seit Goethes „Faust“ wissen wir: Ein Pakt mit dem Teufel verspricht nur ein zweifelhaftes Glück. Dem folgt unweigerlich dramatisches Leid. In einem Moment von Verzweiflung und Gier unterschreibt man zu gern einen solchen Vertrag für Wohlstand und Reichtum. Besonders, wenn die Abrechnung mit der Hölle nur den Kindern bestimmt ist. In Mike Flanagans neuestem Horror-Epos „Der Untergang des Hauses Usher“ (OT: „The Fall of the House of Usher“) beruft er sich gänzlich auf die dramatische Poesie von Edgar Allan Poe, mit all ihrer Moralität und Mortalität.

Die Handlung

Ein Mann, ein Haus (Foto: Netflix)

Ein Mann, ein Haus (Foto: Netflix)

Roderick Usher (Bruce Greenwood), Geschäftsführer des millionenschweren Unternehmens Fortunato Pharmaceuticals, beerdigt sein letztes von sechs Kindern – und das binnen von zwei Wochen. Wohl wissend, dass auch ihm der Tod bevorsteht, bittet er Auguste Dupin (Carl Lumbly) für ein „Geständnis“ in sein altes, brüchiges Familienhaus.

Seit Jahrzehnten versucht ihn Ermittler Dupin für unzählige Tote im Zusammenhang mit dem Schmerzmittel „Ligadone“ zu überführen. Roderick deckt in der düsteren Atmosphäre alle Geheimnisse der Familie Usher auf. Dupin verdächtigt ihn berechtigterweise des Wahnsinns und der Irreführung, da er während ihres Gespräches ständig von den Geistern seiner Angehörigen heimgesucht wird. Dennoch verharrt Dupin letztendlich und wird Hörer eines markerschütternden und metaphysischen Horrormärchens.

Neben dem Gespräch der beiden Männer werden zwei vermischte Zeitlinien erzählt: Die Kindheit bis hin zum Aufstieg Rodericks und seiner Zwillingsschwester Madeleine (Mary McDonnell) sowie die damit verknüpfte Wahrheit über den Tod der mitunter unehelichen Kinder. Alle bekleiden verschiedene Führungspositionen in dem fragwürdigen Unternehmen und sind von tiefen Selbstzweifeln zerfressen.

Keine einfache Aufgabe (Foto: Netflix)

Keine einfache Aufgabe (Foto: Netflix)

Das ständig wiederkehrende Element in Rodericks Erzählungen ist eine Gestalt namens Verna. Diese Begegnung kündigt in jeder Episode den bevorstehenden Tod eines seiner Kinder an. Von Machtgier und Geltungsbedürfnis getrieben, verenden sie dramatisch unter psychischen und physischen Qualen.

Doch zeigt sich erst im Gesamtbild, dass der Multimillionär dieses Schicksal bewusst gewählt hat, um selbst Macht zu erlangen. Vor seinem Tod müssen all seine Kinder sterben. Das ist der Pakt, den er in seiner Jugend im Tausch für den „Erfolg“ schloss. Doch viele weitere Morde pflastern den Weg eines Unternehmers, der mit den Medikamenten Tausende von Menschen in den Abgrund riss. Die Abrechnung dieses Rezeptes ist zugleich der komplette Untergang des Hauses Usher.

Serienkritik „The Fall of the House of Usher“

Reden hilft (Foto: Netflix)

Reden hilft (Foto: Netflix)

Mike Flanegan ist ein Kenner seines Genres. Neben Erfolgen wie „Oculus“ (2013), „Quija: Origin of Evil“ (2016) und die Stephen-King-Verfilmungen „Das Spiel“ (2017) und „Doctor Sleeps Erwachen“ (2019) hat er seine Feuerprobe in Sachen Horror absolviert. Er unterschrieb bei dem roten Riesen Netflix und vielleicht damit auch einen Pakt mit dem Teufel?

Die Familiengeschichten „The Haunting of Hill House“ (2018) und „The Haunting of Bly Manor“ (2020) erfreuten sich großer Kritikerzustimmung. Trotz einer tendenziell seichten Grundstimmung, brach er damit viele Grenzen auf. In den sogenannten One-Shot-Episoden, sprich Filmszenen ohne Schnitte, überzeugten die Darsteller durch Charisma und Improvisation. Die „Hidden-Ghosts“, also versteckten Geister, fesseln selbst hartgesottene Horrorfans. Mit seiner dritten Netflix-Serie „Midnight Mass“ (2022) wagte er den Schritt hinaus aus den Häusern und klagte den christlichen Glauben an. Damit geht diese Insel in Flammen auf und hinterlässt Fragen, Asche und Erschütterung.

Entsprechend hochgradig angespannt war die Erwartung an „The Fall of the House of Usher“. Der Ursprung liegt in Edgar Allan Poes gleichnamiger Kurzgeschichte aus dem Jahre 1840. Sie bildet das Grundgerüst der Flanaganschen Tragödie: Ein Brief lockt den Jugendfreund Rodericks in ein altes Anwesen am See, umgeben von dämonischen Gestalten. Der geisteskranke Hausherr verführt ihn zum Verweilen. Während er eine Art Rittergeschichte verliest, erbebt das alte Haus vor unheimlichen Geräuschen. Schlussendlich gesteht der wahnsinnige Roderick den Mord an seiner Zwillingsschwester, die blutüberströmt im Raum erscheint und ihn erwürgt. Der Freund flieht – das Haus bricht zusammen. Soweit die Vorlage, die ebenso deckungsgleich genutzt wurde. Nur eben auch sehr, sehr viel mehr.

Ist schon wieder Halloween? (Foto: Netflix)

Ist schon wieder Halloween? (Foto: Netflix)

Flanagans moderne, doch nicht weniger düstere Version besticht durch eine strukturierte Vorgehensweise mit stetig sanfter Prognose: Eine Person wird jetzt sterben. Man weiß, wie sie nach ihrem Tod aussieht, da sie ihm vor seiner Erzählung als heimsuchender Geist erscheint. Diese Vorhersehung fesselt den Zuschauer in gespannter Erwartung. Die darauffolgenden Todessequenzen im Rückblick überraschen dabei konsequent durch Brutalität und Raffinesse.

Die Titel der jeweiligen Folgen beziehen sich direkt auf die Kurzgeschichten Poes und interpretieren sie neu. Trotz der festen Struktur der Erzählung ist der Übergang der Episoden dennoch fließend, da sich alle Charaktere gegenseitig beeinflussen und manipulieren. Durch die zusätzlichen Zeitlinien bleiben immer Fragen offen und der Fortgang der Erzählung bleibt erfrischend unvorhersehbar.

Doch nicht nur die Tode Rokericks Kinder, welche alle nach Figuren aus Poes Werken benannt wurden, reihen sich mysteriös aneinander. Auch die konsequente Erscheinung der nicht alternden Frauengestalt Verna (Carla Gugino), die auch häufig in Gestalt eines Raben erscheint (daher „Verna“ – Anagramm von „Raven“), verwirrt und gibt erst nach und nach ihr Geheimnis preis. Todesengel, Teufel, Schicksal – mit morbid-erotischer Präzision lenkt sie die Familie in den Untergang und lässt in einer epischen Szene die Opfer von „Ligadone“ vom Himmel regnen.

Der Cast ist jedem Flanagan-Fan größtenteils vertraut, was durch die Professionalität und Wandlungsfähigkeit keinesfalls langweilig wird: Henry Thomas (Kinderstar Elliot aus „E.T. – Der Außerirdische“ 1982), Kate Siegel (verheiratet mit Flanagan seit 2016) sowie Carla Gugino begleiten sein Werk seit langer Zeit. Ebenfalls Bruce Greenwood („Star Trek“ 2009 und 2013) als ernsthafte und tragische Hauptfigur trägt die Handlung zwischen Stärke und Verwundbarkeit überzeugend. Die größte Überraschung für jeden Filmfan birgt jedoch der „Prozessor“ Arthur Pym, der souverän und messerscharf als Anwalt der Ushers Probleme jeglicher Art löst. Denn hier konnte das Studio niemand Geringeres als Star Wars Legende Mark „Luke Skywalker“ Hamill gewinnen.

Die Versionen

Flanagans literarischer Alptraum sucht uns auf Netflix heim – in einer Staffel von acht Folgen mit einer Länge von jeweils 57 bis 77 Minuten. Dank der bedeutungsschwangeren sowie liebevollen Arrangements des Ablebens bis hin zur grausig dramatischen Darstellung ihrer Heimsuchung, ist eine FSK-18-Einstufung hier passend gewählt.

Das Fazit von Horrormagazin.de

Dialoglastig, beziehungskomplex und mit einer großen Portion voll moralischem Intellekt kann sich sicher nicht jeder Horrorfan darin fallen lassen. Hoch inspiriert zollt Flanagan einem der größten Vorreiter des Horrors Tribut und verschmilzt damit die symbolistische Poesie Poes mit seiner wunderbar finsteren Handschrift. Ein brutales Fest der dichterischen Düsternis trifft hier zielsicher auf das moderne Horrorgenre des 21. Jahrhunderts.

Bewertung: 5/5 Sterne

Der offizielle Trailer zum Film "The Fall of the House of Usher (Serie)"

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Über Mallory Knox

Schon von klein auf kitzelte Mallory Knox das künstlerisch Spezielle. Filme hatten dabei immer einen besonderen Stellenwert. Nicht zuletzt durch die Ästhetik Cronenbergs verfiel sie dem Genre restlos und gibt jetzt schreibwütig ihren Senf dazu.
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